Michael & Rich

Frank 2017:

Können sich Protagonisten aus verschiedenen Geschichten, ja sogar aus verschiedenen Genres, irgendwann einmal begegnen? Nein? Warum eigentlich nicht?

Tatsächlich sind sich Niclas Richmond alias Rich aus "Rich & Mysterious - Der Niagarafall" von Neal Skye, und Michael Kowalczyk aus "Stärke und Mut" begegnet.Diese Szene wurde bislang allerdings nie veröffentlicht. Kein Wunder, war sie doch für beide ein wenig peinlich, aber lest selbst:

Januar 1983
Michael war früh morgens mit seiner Freundin Jasmin in seinem alten VW Käfer 1302 auf dem Weg zum Straßenverkehrsamt. Er hatte das Auto von einem Freund zu Weihnachten geschenkt bekommen, doch als er es das erste Mal bewegen wollte, fragte er sich, ob dieser Freund tatsächlich ein so guter Freund war. Die Bremsscheiben hatten sich dermaßen festgefressen, dass er sie nur mit Vollgas und einer gewaltigen Qualmwolke lösen konnte, was einen mächtigen Hopser auf die gut befahrene Straße zur Folge hatte. Gottseidank waren die Autofahrer, die sich zur Vollbremsung genötigt sahen, reaktionsschnell und deren Bremsen in Ordnung. An diesem eiskalten Morgen musste er feststellen, dass weder die Heizung noch die Heckscheibenheizung funktionierten, die Scheiben dementsprechend immer wieder beschlugen und von Innen einfroren. Mit einem inzwischen verdreckten und klatschnassen Handtuch rieb er sich ein kleines Guckloch, welches ihm jedoch nur für einen kurzen Moment freie Sicht bescherte. Passend zu den Außentemperaturen ließen Jasmin die Geräusche, die das Auto beim Gasgeben machte, das Blut in den Adern gefrieren.
„Mein Gott, Michael, der fällt ja total auseinander“, stöhnte sie und krallte ihre Fingernägel in den Autositz. „Der klappert an allen Ecken und Kanten und ich bin kurz vorm Erfrieren.“
Michael schielte kurz zu ihr und konzentrierte sich wieder auf das erneut schwindende Guckloch.
„Solange es nicht regnet, kann uns nichts passieren“, versuchte er Jasmin zu beruhigen.
„Was? Wieso?“
„Die Scheibenwischer gehen nicht.“
„Willst du mich verarschen? Wir leben in Hamburg und hier regnet es andauernd.“
„Nun beruhige dich doch. Wir müssen die Karre nur für ein paar Wochen anmelden und können sie dann vor der Haustür stehen lassen.“
„Du riskierst unser Leben, nur damit du in der Versicherung nicht hochgestuft wirst“, maulte sie. „Wie alt ist der eigentlich?“
„Keine Ahnung“, grinste er. „Ich glaube, er ist der erste seiner Art.“
Plötzlich wurden sie von einem Auto überholt und eine rote Kelle signalisierte, dass er rechts anhalten sollte.
„Scheiße“, murmelte er. „Die Bullen kann ich gerade nicht gebrauchen.“
Zwei Polizisten und ein in zivil gekleideter junger Mann stiegen aus dem Polizeiwagen. Ein Polizist ging zur Fahrertür und der andere um den Käfer herum. Der junge Mann setzte sich mit verschränkten Armen auf die Motorhaube des Polizeiautos, sah erst zu Michael und dann zu Jasmin, wo sein Blick länger haften blieb, als es Michael lieb war. Michael kurbelte unter Gewaltanstrengung das Seitenfenster herunter. Das Quietschen von Metall auf Fensterglas verursachte ihm eine Gänsehaut.
„Guten Morgen“, sagte der Polizist freundlich. „Ich wollte Ihnen nur sagen, dass ihre Rücklichter nicht gehen. So kann man Sie im Dunkeln schon mal übersehen.“
„Oh … äh … danke. Ich werde das nachher sofort beheben.“
Der Polizist nickte. „Das sollten Sie. Bei der Gelegenheit könnten Sie sich auch um den rechten Scheinwerfer kümmern. Der ist ebenfalls dunkel.“
„Ähm … ja, natürlich.“
Der andere Polizist hatte in der Zwischenzeit den Käfer umrundet und gesellte sich zu seinem Kollegen.
„Moin“, grüßte er. „Sie haben vier verschiedene Reifen drauf. Sie wissen, dass das verboten ist, oder?“
„Was? Echt?“ Michael lief der Schweiß übers Gesicht. „Nein, das wusste ich nicht.“
„Haben Sie getrunken?“
„Wie bitte? Um die Zeit? Natürlich nicht.“
Die Polizisten sahen sich an. Michael schielte zu dem jungen Mann, der unverändert auf der Motorhaube des Polizeiautos saß und das Geschehen breit grinsend beobachtete. Michael vermutete in ihm einen Zivilbeamten.
„Fahrzeugschein und Führerschein bitte“, wurde er in die Realität zurückgeholt. „Und steigen Sie bitte mal aus.“
Michael öffnete die Fahrertür, die sofort aus den Angeln rutschte und schief an der Karosserie hängen blieb.
„Bleiben Sie lieber im Auto sitzen“, sagte der Polizist zu Jasmin. „Bevor die andere Tür auch noch abfällt.“
Michael reichte dem Polizisten seinen Führerschein.
„Herr Kowalczyk?“ Michael nickte. „Den Fahrzeugschein bitte.“
Michael zog den Kfz-Brief aus seiner Jackentasche und reichte ihn dem Polizisten.
„Kein Fahrzeugschein?“, fragte der Polizist.
„Wir wollten gerade zum Straßenverkehrsamt und den Wagen anmelden“, erklärte Michael.
„Okay, dann bitte die grüne Versicherungskarte.“
„Bitte was?“
„Die Deckungskarte der Versicherung. Sie wollen mir doch wohl nicht sagen, dass Sie keine haben.“
„Äh … doch“, stammelte Michael. „Die habe ich nicht. Ich dachte, die bekomme ich beim Straßenverkehrsamt.“
Der Polizist starrte ihn ungläubig an. „Sie wollen mir weißmachen, dass Sie nicht wussten, dass Sie eine Deckungskarte Ihrer Versicherung brauchen?“
„Ich … ich habe nicht daran gedacht.“
„Junger Mann“, brüllte der Polizist. „Für wie blöde halten Sie mich eigentlich? Sie fahren ohne Versicherungsschutz mit diesem Seelenverkäufer durch die Gegend. Haben Sie eigentlich eine Vorstellung, was los ist, wenn Sie einen Unfall bauen?“
„Das ist ja ein wunderschönes blau“, bemerkte der andere Polizist, der von Michael unbemerkt erneut das Auto umkreist hatte und auf den linken hinteren Kotflügel deutete. „Das passt ganz wunderbar zum dunkelgrün vom Rest des Autos.“
Michael lächelte verlegen. „Den habe ich gestern mit einem Freund vom Schrottplatz geholt und angebaut.“
„Das ist eine reife Leistung“, nickte der Polizist, „zumal der überhaupt nicht passt. Wie haben Sie den dranbekommen?“
„Wir haben ein paar Löcher in die Karosserie gestanzt“, erklärte Michael mit hochrotem Kopf.
„Und wo ist der Auspuff?“
„Der Schrottplatz hatte keinen … ich…“
„Hören Sie zu, Herr Kowalczyk“, fuhr ihn der andere Polizist an. „Wir haben keine Zeit für solche Spielchen. Ich habe gar nicht genügend Knöllchen dabei, die ich Ihnen dafür ausstellen müsste, dass Sie mit diesem Höllengerät im Straßenverkehr herumfahren. Sie werden dieses Fahrzeug keinen Meter weiterbewegen und auf die U-Bahn umsteigen. Und dann organisieren Sie einen Abschleppwagen, der dieses Gerät abholt und da hinbringt, wo es hingehört, haben Sie mich verstanden?“
„Sie … Sie meinen, zum Schrottplatz?“, fragte Michael leise.
„Ja, was glauben Sie denn?“, brüllte der Polizist. „Natürlich zum Schrottplatz.“
„Aber ich…“
„Wäre Ihnen eine Anzeige wegen Gefährdung im Straßenverkehr lieber?“ Die Lautstärke des Polizisten grenzte angesichts der Uhrzeit an Ruhestörung.
„Just a moment, please“, hörte Michael plötzlich einen unverkennbar amerikanischen Akzent. Der junge Mann hatte die Motorhaube verlassen und kam auf ihn zu. „Hello, my name is Niclas Richmond“, sagte er und reichte Michael lächelnd die Hand. „Ick bin from Ju Ess Ey.“
„Hey, ich bin Michael Kowalczyk und das ist Jasmin, meine Freundin.“
Jasmin war inzwischen aus dem Auto gestiegen und hatte vergeblich versucht, die Beifahrertür wieder zu verschließen. Also hatte sie sie offengelassen und sich neben Michael gestellt.
„Rich, was willst du denn hier?“, fragte der aufgebrachte Polizist. „Ich habe dir doch gesagt, dass du im Wagen warten sollst.“
„Uncle, be cool“, grinste Rich. „Du bist eine very good Policeman, aber ihr German seid so uncool, so bürokratisch. Das ist eine super geile car. I love it. Es ist so typical german.“
„Sein Akzent ist ja irgendwie süß“, flüsterte Jasmin Michael zu.
„Ist mir gerade scheißegal“, flüsterte Michael zurück, „solange er uns den Arsch rettet.“
„Das nennst du typical german?“, rief der Polizist. „Das Ding ist lebensgefährlich.“
„Okay, Uncle, es gehört viel Stärke und Mut dazu, diese car zu fahren, aber damit hab ick endlich die Freiheit und Mut, durch die Staaten zu cruisen. Und nu entspann dick und wait a minute. Ick sprecke mit die Mann, okay?“
Rich wandte sich Michael zu.
„Du musst wissen, dass ick bin ein student in – wie heißt das hier? – Journalismus - und ick mache hier eine Praktikum bei meine Uncle. Ick liebe cars und will macken darüber eine Reportage. Deine car aber is so richtig cool, die möchte ick kaufen.“
„Kaufen?“, rief sein Onkel. „Für diesen Schrotthaufen willst du auch noch Geld ausgeben?“
„Rich, hör zu“, flüsterte Michael. „Ich will kein Geld. Wenn du das Auto haben willst, gehört es dir.“
„Geschenkt? Oh dear, ick danke dir. It´s cool.“ Rich strahlte ihn an. Er nahm Michaels Hand und schüttelte sie so kräftig, dass Michael Sorge hatte, sein Arm könnte jeden Moment aus der Schulterpfanne springen. Dann nahm Rich Jasmin in seine Arme und drückte sie fest an sich. Ihr verzweifeltes Japsen nach Luft ignorierte er. „I love you“, flüsterte er ihr ins Ohr. „Wenn du willst, nehme ick dick gleich mit die car mit nach Ju Ess Ey.“
Er löste sich lachend von ihr und klopfte Michael auf die Schulter. „Gib mir die Brief und ick hole die car ab. Wenn du bist in Ju Ess Ey, dann besuchst du mick und wir macken eine Tour damit, okay?“
„Ja, ich schaue mal“, antwortete Michael. „Vielleicht ergibt sich das ja.“
„Komm jetzt, Rich“, sagte sein Onkel. „Meine Schicht ist bald zu Ende und ich muss ins Bett.“
Sie bestiegen das Polizeiauto und Michael und Jasmin sahen ihnen hinterher.
„Was war das denn für eine Aktion?“, fragte Jasmin nach einem Moment des Schweigens.
„Keine Ahnung“, grinste Michael. „Offensichtlich sind die Amerikaner noch bekloppter als ich. Jetzt werde ich zwar in der Versicherung hochgestuft, aber diese Geschichte war es irgendwie wert.“


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